Lauschbar 34 15. Oktober 2006

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DJ Shadow: The Outsider (Island/Universal) 15.9.2006
Mit seinen ersten beiden Alben "Endtroducing" (1996) und "The Private Press" (2002, LB 18) hatte der inzwischen 33-jährige Kalifornier Maßstäbe in Sachen innovativer elektronischer Musik gesetzt und sich als Meister der Sample-Kunst und vertrackter Beats erwiesen. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an das neue Album gewesen, und wer ein neues Werk im Stile der beiden Vorgänger erwartet (hat), wird sich enttäuscht sehen, denn DJ Shadow schlägt auf weite Strecken ungewohnte Töne an. Da wäre zum einen der große Anteil expliziter Rap-Stücke mit Gast-Rappern von der West-Coast. Zum anderen der große Anteil von Rock-Elementen. DJ Shadow zeigt damit bewußt, daß er sich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen will.
Diverse Kritiker nörgeln, vermissen den roten Faden, den "alten" DJ Shadow. Wenn man sich aber von dieser Erwartung löst (so wie ich es nach dem ersten Anhören getan habe), dann eröffnet sich einem ein sehr abwechslungsreiches und, gerade auch wegen des stilistischen "Rundumschlages", ein extrem spannendes Album, mit zum Teil wieder aberwitzigen bis genialen Sounds und Beats. Auch nach wiederholtem Anhören kann man immer wieder andere interessante Details entdecken. Zur Abwechslung tragen auch diverse Gast-Musiker und -SängerInnen bei, z.B. von Kasabian, oder ein gewisser Chris James, der mit seiner Stimme dem Sänger von Coldplay Konkurrenz macht.
  ↑  Alice Russell: Under The Munka Moon II (Tru Thoughts) 4.8.2006
Wenn man die soulige Stimme von Alice Russell hört, die an Aretha Franklin erinnert, hat man unwillkürlich eine schon etwasältere afroamerikanische Frau vor Augen, dabei ist Alice Russell eine 30-jährige junge weiße Frau aus England. Einen Namen hatte sie sich bislang vor allem als Sängerin des Quantic Soul Orchestra gemacht, aber auch mit ihren ersten beiden Solo-Alben "Under The Munka Moon" (2004) und "My Favourite Letters" (2005) sorgte sie mit ihrem frischen und unbekümmerten Mix aus Soul, Funk, Jazz, HipHop und Break Beatz für Aufsehen. Das vorliegende Album nun ist eine Sammlung von Kollaberationen, Remixen und alternativen Versionen bisheriger Songs. Ein Highlight darunter ist die Cover-Version des White Stripes-Hits "Seven Nation Army".
  ↑  Koop: Koop Islands (Compost) 29.9.2006
Anfang 2002 legten die beiden Schweden Magnus Zingmark & Oscar Simonsson als Koop mit ihrem 2. Album "Waltz For Koop" (LB 16) einen Meilenstein des NuJazz vor, einer clubtauglichen Fusion von Jazz und elektronischen Downbeats. Prägnante Vocals sich von Stück zu Stück abwechselnder SängerInnen sorgten dabei für wohltuende Abwechslung. Diesem Konzept sind die beiden Schweden auch auf ihrem neuen Album treu geblieben, sogar mit fast denselben SängerInnen. Musikalisch geht es aber mit karibischen und Swing-Rhythmen etwas beschwingter zu.
Mit 9 Stücken und 33 Minuten Spieldauer leider etwas zu kurz geraten.
  ↑  Sam Ragga Band: Situations (Indigo) 16.6.2006
Die Hamburger Band, die als Begleitband von Jan Delay begann (und nun eigene Wege geht), legt mit "Situations" ihren 3. Longplayer vor, auf dem kaum noch Dancehall-Elemente zu hören sind. Das Motto lautet: "back to the Reggae roots".
Musikalisch also keine Innovation, aber gut gemacht und mit relaxtem Groove. In den (englischen) Texten geht es neben Liebeskrams auch um ernste Themen wie zunehmende Gewalt in deutschen Großstädten und soziale Ungerechtigkeit.
  ↑  Thievery Corporation: Versions (ESL/Soulfood) 19.5.2006
Das Washingtoner Produzenten-Duo Rob Garza & Eric Hilton beglückt uns regelmäßig mit neuem Output, sei es ein reguläres Album wie letztes Jahr "The Cosmic Game" (LB 28), oder mit Compilations von Remixen, wie im vorliegenden Fall. Gewohnt stilsicher verbinden sie elektronische Beats mit brasilianischen Rhythmen oder indisch-pakistanischer Folklore. Etwas überraschend, aber dafür umso interessanter ist der Remix des Doors-Songs "Strange Days", der in ihrer Version als relaxtes Lounge-Stück daherkommt.
  ↑  Archive: Lights (Warner) 26.5.2006
Die britische Band um die Masterminds Darius Keeler und Danny Griffiths gehört für mich zu den faszinierendsten Bands der Neuzeit. Mitte der 90er aus dem Dunstkreis der TripHop-Szene hervorgegangen, haben sie sich mit ihrem grandiosen 3. Album "You All Look The Same To Me" aus dem Jahr 2002 (LB 18) hin zu rockigeren Klängen geöffnet, was mit dem, ebenfalls hervorragenden Nachfolger "Noise" (2004) noch ausgebaut wurde.
Auf dem vorliegenden 5. Album gehen sie diese Richtung nicht weiter, sondern setzen wieder verstärkt auf trippige elektronische Sounds. Leider ist der (gute) Sänger Craig Walker von den beiden letzten Alben nicht mehr an Bord und wird durch 3 andere SängerInnen ersetzt, u.a. Pollard Berrier vom Vocal-Groove-Project Bauchklang und Maria Q, die schon auf den ersten beiden Alben mitgemischt hat. Das bringt zwar eine gewisse Abwechslung in die Platte, ist aber stimmlich nicht immer ganz gelungen, weswegen "Lights" (für mich) auch nicht ganz an die Klasse der beiden Vorgänger heranreicht.
Im Mittelpunkt der Platte steht das epische, 18-minütige Titelstück, um das sich die anderen, kompakteren Songs gruppieren, zum Teil sehr schöne Balladen, zum Teil schnellere, gut groovende Stücke.
  ↑  The Black Keys: Magic Potion (V2) 8.9.2006
The Black Keys sind ein Duo aus Ohio, bestehend aus dem Gitarristen und Sänger Dan Auerbach sowie dem Drummer Patrick Carney. Sie gibt es seit 2001 und "Magic Potion" ist ihr 4. Album.
Nur mit Schlagzeug, Gitarre und Gesang kreieren sie einen knochigen Garagen-Blues-Rock. Daß dies funktionieren kann, haben die White Stripes bereits bewiesen. Die Black Keys machen das mindestens genauso gut.
Während sie mich auf ihrem Vorgänger "Rubber Factory" (2004) noch nicht ganz zu packen vermochten, überzeugen sie nun voll und ganz, wissen trotz der begrenzten Mittel über die ganze Distanz zu fesseln und lassen wohlige Erinnerungen an Gitarren-Gott Jimi Hendrix wach werden.
  ↑  Muse: Black Holes And Revelations (Warner) 30.6.2006
Das britische Trio, das sich schon mit seinem Debüt "Showbiz" im Jahr 1999 in die obere Liga des Alternative-Rocks gespielt hat, legt mit dem vorliegenden vierten Album ihr definitives Meisterwerk bislang vor. Ihr musikalisches Können und ihre Kunst, mitreißende Rock-Ohrwürmer mit unglaublichen Rhythmen schreiben zu können, haben sie noch weiter perfektioniert und um weitere Facetten erweitert: mehr elektronische Spielereien, einen Hauch orientalischen Flairs und Mariachi-Bläser (!).
Ein spannendes Alternative-Rock-Epos!
  ↑  Thom Yorke: The Eraser (XL) 7.7.2006
Zu dem jüngeren Schaffen von Radiohead seit der Jahrtausend-Wende habe ich ja nicht so den Zugang gefunden, was deren Sänger auf seinem Solo-Debüt darbietet, ist aber über weite Strecken richtig toll. Natürlich erinnert seine prägnante Stimme an Radiohead, aber die Musik ist doch verschieden: zum einen fast ausschließlich elektronisch eingespielt, zum anderen ausgeglichener in der Stimmung.
Die Spannung bezieht die Platte, die durch ihr Elektronik-Gewusel anfangs vielleicht etwas verwirrt, aus den vielen Details und Feinheiten, die es beim wiederholten und aufmerksamen Zuhören zu entdecken gibt.
  ↑  The Album Leaf: Into The Blue Again (City Slang) 8.9.2006
The Album Leaf ist das seit 1999 bestehende Solo-Projekt des kalifornisichen Multi-Instrumentalisten Jimmy LaValle, der sich als Gitarrist und Bassist auch in diversen anderen Bands betätigt (Black Heart Procession, Tristeza). Mit The Album Leaf kreiert er feinfühligen, warmen Post-Rock. Der Vorgänger "In A Safe Place" (mit der Hilfe von Sigur Ros in Island produziert) hatte mich noch nicht so stark gefesselt, es fehlten die Höhepunkte. Die größtenteils instrumentalen Stücke des vorliegenden vierten Albums sind zwar überwiegend auch sehr ruhig, aber so voller Schönklang aus athmosphärischen Keyboard-Sounds, sanften Gitarren, luftiger Percussion und feinfühlig eingestreuten Streichern, daß man sich dieser Platte nur schwer entziehen kann.
  ↑  Lou Rhodes: Beloved One (Infinite Bloom) 26.5.2006
Mit dem Duo Lamb, dem sie mit ihrer markanten Stimme das gesangliche Gesicht verlieh, gehörte Lou Rhodes seit Mitte der 90er zur Speerspitze der progressiven elektronischen Musik im Bereich von TripHop und Break Beatz. 2004, ein Jahr nach dem vierten und letzten Album "Between Darkness And Wonder" (LB 23) kam die Ankündigung einer "künstlerischen Pause", was aber wahrscheinlich wohl (leider) doch eine Auflösung des Duos bedeutete.
Nun dafür also das Solo-Debüt von Lou, welches, und das ist schon überraschend, völlig akustisch daher kommt und in bester, von der Folk-Musik inspirierten Singer/Songwriter-Tradition steht. Noch mehr als bei Lamb steht jetzt ihre Stimme in den sparsam instrumentierten, aber wundervollen Songs im Vordergrund.
  ↑  Johnny Cash: A Hundred Highways (American) 30.6.2006
Dies ist die letzte Platte, an der Johnny Cash gearbeitet hat, die er aber durch seinen Tod im Herbst 2003 nicht mehr beenden konnte, und die dann von seinen Studio-Musikern behutsam zu Ende geführt wurde. Die jetzt erschienene Platte gibt mir nun die Gelegenheit, der Legende Johnny Cash auch in der Lauschbar die gebotene Ehre zu erweisen.
Wie viele der jüngeren Generation Europas, die sich ja eher nicht so zur Country-Musik hingezogen fühlt, bin ich auch erst vor ein paar Jahren durch die American Recordings Serie, in der er u.a. bekannte Songs der Rock- und Pop-Geschichte coverte, dazu gekommen, mich mehr mit seiner Geschichte und seiner Kunst zu befassen und diese schätzen zu lernen. "A Hundred Highways" ist anders als die anderen Teile der Serie: dem Entstehungszeitpunkt gemäß nicht mehr so kraftvoll, dafür mehr von Melancholie und Wehmut angesichts des bevorstehenden Todes getränkt, und vom Bemühen geprägt, sich mit seinem Leben und seiner Kunst auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es sehr berührend, dem Vermächtnis von Johnny Cash zuzuhören.