Lauschbar 44 12. April 2009

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Leech: The Stolen View (Viva Hate) 17.10.2008
Seit Ende letzten Jahres läuft diese wundervolle, epische Platte bei mir in der Dauerrotation. Die Band aus der Schweiz existiert (mit Unterbrechungen) seit 1995. "The Stolen View" ist ihr vierter Longplayer, aber der erste, der außerhalb der Schweiz vertrieben wird. Von der Masse guter, aber doch in ähnlichen Mustern gefangenen Post-Rock-Platten hebt sie sich durch besonderen Melodie-Reichtum und besonders ausgefeilte Songsstrukturen ab, was sie teilweise auch in die Nähe von Progressive Rock rückt. Bis auf 2 kürzere Interludes dauern die ausschließlich instrumentalen Stücke zwischen 8 und 20 Minuten. Dabei kommt aber keine Langeweile auf, da den Schweizern immer wieder trickreiche Wendungen einfallen.
Ganz großes, unter die Haut gehendes Audio-Kino!
  ↑  Tiger Lou: A Partial Print (Startracks) 31.10.2008
Tiger Lou ist das seit 2001 bestehende Solo-Projekt des schwedischen Sängers und Multiinstrumentalisten Rasmus Kellerman, der im Studio die meisten Instrumente selber einspielt, sich live aber von einer Band begleiten läßt. Das vorliegende dritte Album ist ein sehr vielschichtiges und durchdacht komponiertes Werk, das vielerlei Facetten bietet: melancholischen New Wave, ruppigen Alternative Rock sowie epischen Post/Prog Rock. Im grandiosen, abschliessenden Titelsong kommen über 9 Minuten all diese Elemente zum Tragen.
Über die gesamte Länge des Albums hinweg beweist Kellerman sein Talent für ausgefeiltes und wendungsreiches Songwritung und sein Gespür für einprägsame Melodien, die gelegentlich auch mal etwas süßlich geraten.
  ↑  Diego: Two (Noisedeluxe/Alive) 31.10.2008
Das Quintett aus Karlsruhe sieht sich ja von seiten einiger Kritiker dem Vorwurf des Epigonentums ausgesetzt. In der Tat weckt der melancholische Gitarren-Wave-Rock auf ihrem zweiten Album unmittelbare Assoziationen zu Bands wie Editors oder Interpol, was sich auch an der charismatischen, warmen Stimme des Sängers festmachen lässt. Epigonentum hin oder her, wenn dabei eine so wundervolle Platte herauskommt, die in ihrer Strahlkraft und Intensität für mich sogar die Vorbilder übertrifft, dann kann mir das nur recht sein.
Gleich der Opener "September March" nimmt einen mit hypnotischen Gitarrenriffs gefangen. Und so geht es ohne Verluste mit herrlich flirrenden Gitarren und Melodienreichtum durch mal langsamere, mal schnellere Stücke weiter bis hin zum finalen "Me vs. Music".
  ↑  Whitest Boy Alive: Rules (Bubbles/Groove Attack) 27.2.2009
Während das norwegische Multi-Talent Erlend Oye mit der Band Kings Of Convenience eher ruhigen Indie-Folk zelebriert, frönt er mit dem in Berlin ansässigen Projekt Whitest Boy Alive seiner Lust an tanzbarer Indie-Pop-Mugge. Dabei verzichtet er mit seinen Mitstreitern weitestgehend auf elektronische Sperenzchen. Die Stücke auf dem neuen, zweiten Album wurden sogar in einem Take aufgenommen und nicht weiter im Studio nachbearbeitet. Es sollte nichts auf die Platte, was die Band nicht auch live spielen kann. Herausgekommen ist ein sehr funkiges Indie-Pop-Album, welches mehr noch als das 2006er Debüt "Dreams" zum Tanzen einlädt. Den besonderen Reiz des Albums macht wohl der Kontrast zwischen lässiger Beschaulichkeit auf der einen, und dem, den Stücken latent innewohnendem Bewegungsdrang auf der anderen Seite aus. Beeindruckend aber auch das effektive und präzise Zusammenspiel von Schlagzeug, Bass, Gitarre und Orgel in den warmen und schlicht gehaltenen Pop-Songs. Eine sehr schöne Frühlingsplatte ...
  ↑  Red Snapper: A Pale Blue Dot (LO) 24.10.2008
Auf das britische Trio bin ich Ende der 90er über einen Beitrag auf einem Chillout/Downbeat-Sampler aufmerksam geworden. Auf diesen Stil kann man das 1993 gegründete Trio aber keineswegs festlegen, vielmehr macht es experimentelle, leicht verrückte Musik im besten Sinne: eine spannende, teils irre Fusion aus des Jazz, Electronica, Trip-Hop und Psychedelic Rock. Nach 3 Alben folgte 2002 der Split der Band, bevor man sich 2007 nach diversen Nebenprojekten wieder zusammentat.
So ist "A Pale Blue Dot" also nach 5 Jahren wieder das erste – und äußerst lebhafte – Lebenszeichen des Trios. Die ersten 3 Stücke lassen es zum Teil ordentlich Jazz-Prog-Rock-mäßig krachen. Danach kommen 3 ruhigere, relaxtere Stücke, bevor das Album mit 2 beschwingten, eher elektronischen Remixen beschließt.
Für Freunde etwas ausgefallenerer Musik sehr zu empfehlen ...
  ↑  Jimi Tenor & Kabu Kabu: 4th Dimension (Sähkö) 23.1.2009
Der finnische Sound-Tüftler und Multi-Instrumentalist ist ja eher durch ein paar Club-Dancefloor-Hits aus der Mitte der 90er bekannnt (u.a. "Take Me Baby"). Er war aber immer auch schon für einige Extravanganzen und Ausflüge in andere musikalische Gefilde gut, z.B. vor 3 Jahren in die experimentelle Klassik auf seinem Beitrag zur "ReComposed"-Reihe (s.Archiv). Seine derzeitige Vorliebe ist nun also Afro-Beat/Jazz, welche er seit 2 Jahren mit den in Deutschland wohnenden Westafrikanern von Kabu Kabu auslebt.
"4th Dimension" ist bereits ihr 2. gemeinsames Album, auf dem sie groovenden Afrobeat der Marke Fela Kuti mit Acid Jazz in der Art von Lalo Schifrin, westafrikanischer Polyrhythmik und Kraut/Space-Rock fusionieren. Das geht zu einem großen Teil gut in die Tanzbeine, ist teilweise für den Nicht-Jazz-Fan aber auch etwas anstrengend, auf jeden Fall aber eine spannende und abwechslungsreiche Soundreise ...
  ↑  Amsterdam Klezmer Band: Zaraza (Essay/Indigo) 28.11.2008
Die seit 1996 bestehende Band aus den Niederlanden ist hierzulande in den letzten Jahren durch Wladimir Kaminer’s Russendisko und vor allem auch durch Shantel’s Balkan Beat Offensive zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gekommen. Und in der Tat: die trunkseelige Mischung von Klezmer, der traditionellen jiddischen Hochzeitsmusik, mit südosteuropäischer Folklore und einem Schuß Punk geht größtenteils gut in die Tanzbeine, auch wenn sie es auf ihrem neuen Album nach dem Club-orientierten und von Shantel produzierten Remix-Album (2006) nun wieder etwas traditioneller, d.h. rein akustisch, und auch etwas melancholischer angehen lassen ...
  ↑  The Knux: Remind Me In 3 Days (Interscope/Universal) 7.11.2008
Endlich mal wieder ein richtig gutes Rap-Album abseits vom glatten Mainstream- und Charts-Rap. Erschaffen wurde es von dem Brüderpaar Rah Almillio und Krispy Kream aus New Orleans, und es ist ihr Debüt. Die beiden haben das Album weitestgehend alleine eingespielt und verzichten auf die in diesem Genre so angesagten Auftritte von bekannten Gastmusikern. Neben dieser Eigenständigkeit besticht vor allem die Cleverness und Unbekümmertheit, mit der sie die Grenzen des Rap aufbrechen. Einflüsse von Soul, Funk und Jazz sind ja noch naheliegend, aber auch rockige Gitarrenriffs, Break Beats und wavige Synthieparts finden reichlich Eingang in ihre Stücke. Das macht das Album auch für Hörer zugänglich, die sonst nicht so auf Rap stehen. Auf jeden Fall sorgt es über die ganze Dauer von über einer Stunde für kurzweilige Abwechslung.
  ↑  CLP: Supercontinental (Shitkatapult/MDM) 31.10.2008
1, 2, 3 ... Tanzen! Gleich die ersten Takte geben die Marschrichtung dieses Albums vor: direkt auf die Tanzfläche, wo dann Electro- und HipHop-Kids einträchtig eine Party feiern. Denn eines ist dieses Album vor allem: eine gekonnte und extrem tanzbare Mischung aus knackigen Electro-Beats und funky Raps. Das ganze ist maßgeblich das Werk der beiden Berliner Chris de Luca (früher ein Teil des Electronica-Duos Funkstörung) und Carsten Aemes alias (DJ) Phon.o. Über das Internet haben sie Musiker aus der ganzen Welt (daher der Titel) kennen gelernt bzw. angeschrieben, die die Raps zu den Stücken beisteuerten.
  ↑  Diary Of Dreams: (If) (Accession/Indigo) 13.3.2009
Das Geschehen in der Dark Wave/Gothic Szene verfolge ich ja nicht mehr so intensiv wie noch in den 90ern, aber wenn eine meiner Lieblingsbands aus dieser Zeit eine neue Platte herausbringt, dann horche ich schon mal auf. Und im Fall des vorliegenden 9. Albums des seit 20 Jahren bestehenden deutschen Projekts um Mastermind Adrian Hates hat sich das wieder mal gelohnt. Zwar kann auch er das Genre nicht neu definieren und vieles klingt ähnlich wie frühere Werke von ihm, aber Stimmigkeit und Intensität sind wieder mal beeindruckend, beginnend vom bombastischen Opener "the Wedding" bis zum abschliessenden, tieftraurigen "Kingdom Of Green" - das ist Dark Wave auf den Punkt gebracht. In den mal elegischen, mal kraftvolleren Tracks gehen Electro-Beats mit wavigen Gitarren und dem wie immer charismatischen Gesang von Hates eine perfekte Symbiose ein.
  ↑  Katharina Nuttall: Cherry Flavour Substitute (Frances) 12.12.2008
Das zweite Solo-Album der 36-jährigen, in Schweden lebenden Norwegerin ist in Deutschland zeitgleich mit dem neuen Album ("Leaving On A Mayday") der von mir sehr geschätzten Anna Ternheim erschienen und stellt dieses sogar etwas in den Schatten. Wie Anna Ternheim ist auch Katharina Nuttall mit einer begnadeten Stimme gesegnet, die aber etwas tiefer und erdiger klingt. Das trifft auch auf ihre Musik zu, denn in ihrem ausgefeilten Singer/Songwritertum ist neben aller Melancholie auch Platz für rockigere Töne, wobei ihr stärkster Einfluss ganz offensichtlich 80er-Jahre New Wave der Marke Joy Division und Nick Cave ist.
Eine sehr schöne, zur dunklen und kalten Jahreszeit passende Platte, die etliche Gänsehaut-Momente parat hält ...
  ↑  Dear Reader: Replace Why With Funny (City Slang/Universal) 20.2.2009
Das Debüt der südafrikanischen Band um Cheri McNeil (Gesang, Klavier) ist eine bezaubernde Indie-Pop-Platte. Nach dem ersten Anhören bleibt vor allem die Stimme von Cheri McNeil hängen, die an Kate Nash, Regina Spektor und die vor kurzem auch an dieser Stelle vorgestellte Emiliana Torrini erinnert. Nach mehrmaligem Anhören offenbart sich aber auch der ganze Phantasiereichtum der ganzen Band und die ausgefeilten Kompositionen zwischen filigranem Folk und orchestralem Pop. Oft beginnen die Stücke verhalten mit einer einfachen Klavierfigur und steigern sich dann mit Geigen, Bläsern, Orgel und Chor in hymnische Höhen.
Diese Platte dürfte den einen oder die andere süchtig nach ihr machen, auf jeden Fall muss man ihr mindestens 2-3 Durchläufe gönnen.