Lauschbar 39 27. Januar 2008

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Hans Söllner: Viet Nam (Trikont) 9.11.2007
Diese neue Platte des 51-jährigen bayrischen Rebells und Liedermachers bereitet beim Zuhören ein großes Vergnügen, vor allem dank der gewohnt hintergründigen und interessanten, im bayrischen Dialekt vorgetragenen Texte, die in jeder Zeile die Liebe zu und Achtung vor den einfachen Leuten verspüren lassen.
Musikalisch bleibt er seinem Stil treu, einer Mixtur aus bayrischer Folklore und Reggae. Die, über weite Strecken, relaxte und fröhlich daher kommende Musik steht dabei zum Teil im Kontrast zu den eher nachdenklichen bis bitteren Texten.
Von den Platten, die ich von ihm kenne, ist dies für mich eindeutig die beste und beeindruckendste.
  ↑  Einstürzende Neubauten: Alles wieder offen (Potomak/Indigo) 19.10.2007
Nach „Silence Is Sexy" aus dem Jahre 2000 (LB 8) gingen und gehen die Mannen um Sänger und Gitarrist Blixa Bargeld marketing-technisch ja einen eigen(willig)en Weg: in der Tradition der Straßenmusikanten werden ihre neuen Stücke und LPs durch sogenannte Supporter über das Internet finanziert und dort exklusiv vertrieben. Ab und zu kommt auch die Öffentlichkeit in den Genuß eines „abgespeckten" Albums. So 2004 mit dem eher spröden „Perpetuum Mobile" und eben jetzt mit dem grandiosen „Alles wieder offen", welches in seiner Stimmigkeit an „Silence Is Sexy" anknüpft und dieses sogar noch übertrifft: das Spektrum der Stücke reicht von Neubauten-typischen Industrial-Nummern, die von Metall-Perkussion leben, über avantgardistische Rock-Epen bis hin zu eingängigen Balladen, und die gewohnt wortwitzigen und hintergründigen Texte werden von Bargeld einmal mehr in seiner unnachahmlichen Art vorgetragen
  ↑  Seidenmatt: The Goal Is To Make Animals Happy (Sinnbus/Alive) 28.9.2007
Der mir bis dato unbekannten, seit 2001 bestehenden Berliner Formation, die sich neuerdings verkürzt auch SDNMT schreibt, ist mit dem vorliegenden 3. Album ein bemerkenswertes Post-Rock-Werk gelungen: wie die renommierten Vertreter und Vorbilder Tortoise, Mogwai und Explosions In The Sky (LB36) beherrschen auch die Berliner perfekt die Kunst des ständigen Auseinanderdriftens und Wiederzueinanderfindens der verschiedenen Melodiebögen, Rhythmen und Instrumente. Diese Musik ist natürlich weniger zum Tanzen geeignet, dafür umso besser für genußvolles Zuhören, sprich: großes Audio-Kino.
Die für dieses Genre mit 4-5 Minuten eher kurzen und luftigen Stücke sind zum großen Teil instrumental und werden neben dem üblichen Rockinstrumentarium hier und da mit knisternder Elektronik, Bläsern und Streichern untermalt.
  ↑  SixNationState: SixNationState (Jeepster) 28.9.2007
Die 5-köpfige, seit 2004 bestehende britische Band legt ein fulminantes Debüt vor, dessen party-tauglicher Indie-Rock bestens zum Mittanzen und -singen geeignet ist. Einflüsse aus Ska, Latin, Folk und Punk sorgen für kurzweilige Abwechslung und bieten alles, was das Herz des Indie-Dancers begehrt.
  ↑  Bratze: Kraft (Audiolith/Broken Silence) 19.10.2007
Bratze ist ein neues norddeutsches Duo bestehend aus Sänger und Gitarrist Kevin Hamann, der sich bisher unter dem Namen ClickClickDecker dem Indie-Rock verschrieben hat, und dem ElectroBeat-Bastler Norman Kolodziej, auch bekannt unter dem Künstler-Namen Der Tante Renate.
Ihr Debüt bewegt sich zwischen 80er Jahre NDW/Synthie-Pop und dem aktuell angesagten Electro-Rave-Rock der Marke Justice. Das kommt aber nicht clean und kühl daher, sondern eher poltrig und frech, was dem Album eine leichte Punk-Note verleiht. Die Texte sind z.T. nur scheinbar NDW-mäßig banal, besitzen aber dennoch einen subtilen Hintersinn.
  ↑  Roisin Murphy: Overpowered (EMI) 12.1.2007
Nach der Auflösung des innovativen Indie-Pop-Acts Moloko nach derem letzten Album "Statues" (LB 20) begann die charismatische Sängerin Roisin Murphy eine Solo-Karriere, die 2005 zur Veröffentlichung ihres Debüts "Ruby Blue" führte. Das war recht sperrig und konnte mich nicht so begeistern. Auf dem vorliegenden Album zeigt sie sich wieder deutlich zugänglicher und auch wieder mit einigem Dancefloor-Appeal. Musikalisch zwar "nur" State-of-the-Art Disco-Pop, macht ihre unvergleichliche Art zu singen das Anhören der Platte doch auch zu einem Erlebnis.
  ↑  Wu-Tang Clan: 8 Diagrams (Bodog) 7.12.2007
6 Jahre nach dem letzten Studio-Album "Iron Flag" und einigen internen Querelen will es der 1992 gegründete, nach dem Verscheiden von Ol’ Dirty Bastard nur noch 8-köpfige Clan noch einmal wissen und ein Zeichen gegen die zunehmende Belanglosigkeit des Mainstream-Rap setzen. Das Album bietet keinen auffälligen Dancefloor-Hit, sondern entfaltet seine Wirkung eher als homogene Einheit aus relaxt rollenden Beats, opulenter Instrumentierung, subtilen Samples und souligen Rhymes.
  ↑  The Far East Band: Tough Enough (Four Music/Bushhouse Music) 26.10.2007
Die ostdeutsche Band entstand 1997 aus Musikern der bereits zu Ende der DDR bekannten und beliebten Reggae-Ska-Combos Messer Banzani und Michele Baresi. Da sie über keinen eigenen Sänger verfügten, boten sie sich als Live-Band für Reggae-Künstler aus Übersee an. So tourten sie z.B. auch mit Sean Paul. Ab 2001 dann waren und sind sie die Live-Band von Gentleman, an dessem, auch internationalem Erfolg die Band einen wichtigen Anteil hat.
Mit "Tough Enough" liegt nun das erste eigene Album der Band vor, das sie zusammen mit einer ganzen Reihe illustrer GastsängerInnen eingespielt hat: sowohl mit aktuellen Reggae-Top-Acts aus Jamaica wie Tanya Stephens und Chuck Fenda, als auch mit mit deutschen Reggae- und HipHop-Künsterln wie D-Flame, Fettes Brot und – natürlich – Gentleman. Am interessantesten sind aber die Beiträge von Künstlern aus Reggae-fremden Genres: die von Moneybrother und von Suzie, der Sängerin von Klee. Durch die verschiedenen Stimmen und die verschiedenen Einflüsse, welche die GastsängerInnen einbringen, ist ein schön abwechslungreiches und rundes Reggae-Album entstanden, dem nur zu Ende etwas die Luft ausgeht.
  ↑  Habib Koite: Afriki (Cumbancha) 7.9.2006
Der 1958 in Mali geborene Habib Koite gehört zur jüngeren Musikergeneration seines Landes, welche durch Künstler der älteren Generation wie Ali Farka Toure und Amadou & Mariam international ein hohes Ansehen geniesst. Koite entstammt einer Sippe von Griots, wie die singenden Geschichtenerzähler Westafrikas genannt werden, und so hat er schon als Kind die Melodien der Völker Westafrikas in sich aufgenommen. Nach einer klassischen Gitarren-Ausbildung gründete er seine Band Bamada. Ihr erstes Album erschien 1995. Aufgrund von ausgedehnten Tourneen und seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter des "Desert Blues Festivals" dauerte es bis zum vorliegenden 4. Album 6 Jahre. Auf diesem verbindet er gekonnt Tradition mit Moderne. Die Basis der Lieder sind sein samtener Gesang und wunderschöne akustische Gitarrenläufe. Dazu gesellen sich allerlei einheimische und für uns exotische Instrumente wie die Buschharfe und Antilopenhörner sowie gelegentliche Frauenchöre und Bläser im Hintergrund. Die Stücke sind weniger zum Tanzen geeignet, sondern eher nachdenklich gehalten. Seine zentrale Botschaft an die Jugend Afrika lautet, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, und sich nicht so sehr an dem materiellen Wohlstand der Industrieländer zu orientieren, da dieser nicht Voraussetzung für ein glückliches Leben ist.
  ↑  Waldeck: Ballroom Stories (Dope Noir) 10.8.2007
Der Wiener gehörte um die Jahrtausendwende zu den Protagonisten der Wiener Downbeat & Easy Listening-Szene um Kruder & Dorfmeister. Nach seinem letzten Solo-Longplayer "The Night Garden" 2001 (Lauschbar 13) hat er am Projekt Saint Privat mitgearbeitet, das sich der Fusion von Chanson und Nu Jazz verschrieben hat. Deswegen gibt es jetzt erst nach 6 Jahren sein 3. Solo-Album. Kenner seiner früheren Solo-Arbeiten werden überrascht sein, denn es enthält nicht die von dort bekannten elektronischen, trippigen Grooves und Sounds. Vielmehr knüpft er hier, wie Titel und Cover andeuten, bei der Musik aus den Tanzsalons der 20er Jahre an und transportiert dessen Geist in die Neuzeit. Herausgekommen ist eine schöne, nostalgische und relaxte Mixtur aus Tango, Swing und dubbiger Elektronik.
  ↑  Keith Jarrett’s Standards Trio: My Foolish Heart – Live At Montreux (ECM) 12.10.2007
Als nur gelegentlichem Jazz-Konsumenten war mir Keith Jarrett zwar schon lange ein Begriff als einer der weltbesten und -bekanntesten Jazz-Pianisten, doch erst mit seinem im letzten Jahr veröffentlichten "Carnegie Hall Concert" ergab es sich, daß ich mich persönlich von seiner Spiel- und Improvisationskunst überzeugen konnte. So war ich auch gespannt auf das nachfolgend veröffentlichte Konzert-Album, ein Mitschnitt eines Konzerts mit seinem seit 25 Jahren bestehenden Trio (incl. Gary Peacock am Bass und Jack DeJohnette am Schlagzeug) während des Jazz-Festivals in Montreux 2001. Das 2-stündige Konzert umfasst fulminant improvisierte Einspielungen von Jazz-Standards. Das perfekte Zusammenspiel der drei Musiker, ihr Spielwitz und ihre Improvisationskunst garantiert höchsten Hörgenuß - künstlerisch anspruchsvoll und unterhaltend zugleich!
  ↑  AaRON: Artificial Animals Riding On Neverland (Discograph/Alive) 5.10.2007
Mit dem vorliegenden Debüt ist dem seit 2004 bestehendem französischem Duo Simon Buret und Olivier Coursier eine wunderschöne, melancholische Herbstplatte gelungen. Die herzzerreissende Ballade "U-Turn (Lili)" aus dem französischem Kinoerfolg "Keine Sorge, mir geht’s gut" wurde in Frankreich bereits ein Hit.
In der Musik des Duos trifft sich klassisches Singer/Songwritertum mit unterkühlten modernen elektronischen Sounds. Verwandschaften sind erkennbar mit dem Trip-Rock der in der Lauschbar 36 vorgestellten schottischen Band Union Of Knives, als auch zu Rob Dougan (von dem man leider nach seinem grandiosem Album "Furious Angels" aus dem Jahr 2003 nichts mehr gehört hat). An Rob Dougan erinnert vor allem auch die rauhe, teils brüchige Stimme von Buret, die den Songs der beiden Franzosen das I-Tüpfelchen aufsetzt, und die dafür sorgt, dass die Musik bei allem Herz- und Weltschmerz nicht in Kitsch und Schmalz abgleitet.